Vier Kirchen – vier Ansichten – vier Einsichten: die Gottesmutter mit ihrem Sohn

Den Menschen unserer Gemeinde lagen ihre Kirchen schon immer sehr am Herzen. Über Generationen haben sie dafür gesorgt, dass die Kirchen schön und würdevoll ausgestattet wurden. Dabei lässt sich Erstaunliches in unseren Kirchen entdecken, vor allem, wenn man die Darstellungen in den Kirchen vergleicht. Nun wird man sicherlich nicht einen hl. Mauritius in der Bimmener oder einen hl. Martinus in der der Rinderner Kirche entdecken. Aber Darstellungen der Gottesmutter finden wir nicht nur in der Keekener, sondern in allen Kirchen – wie es wohl auch der Stellung im Heilsplan Gottes und damit auch ihrer Würde entspricht.
Die Gottesmutter wird auf unterschiedlichste Weise dargestellt; da sie aber nicht ohne ihren Sohn denkbar wäre, ist „Maria mit Kind“ sehr weit verbreitet – und auch in unseren vier Kirchen anzutreffen. Dabei haben die Künstler unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. So können die unterschiedlichen Mariendarstellungen uns und unserem Leben einiges erzählen. Ein besonderes Augenmerk sei auf das Jesuskind gerichtet, das von Maria uns entgegengehalten und gezeigt wird.

St. Mauritius, Düffelward

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Die Gottesmutter trägt Jesus auf ihrem rechten Arm und dieser in seiner linken Hand eine Kugel, Symbol für die Welt(-kugel). Die Kugel ist von einem Kreuz gekrönt. Wir dürfen es wohl so verstehen, dass Christus über die Welt herrschen möchte. Aber nicht mit Waffen und Gewalt, sondern im Zeichen des Kreuzes, nicht in äußerer Macht, sondern in der Ohnmacht seiner Liebe. In der Präfation des Christus-König-Festes wird das Reich Christi denn auch so umschrieben: „Das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens.“
Jesus hält die Weltkugel in seiner rechten Hand, hält sie an sein Herz. Die Welt wird ihm so im wahrsten Sinne des Wortes ein „Herzens-Anliegen“. Außerdem stützt Jesus die Weltkugel so, dass sie nicht aus seiner Hand herausfallen kann. Im Johannesevangelium heißt es innerhalb von zwei Versen gleich drei Mal, dass niemand die Schafe seiner oder Gottes Hand entreißen wird (Joh 10, 28f). Er selbst schützt mit seinem Körper und stützt mit seiner Hand die Welt …
Und Jesus hält die Weltkugel so, dass sie sich zwischen ihm und seiner Mutter befindet. Dürfen wir es so deuten, dass wir aufgehoben sind in der liebenden Beziehung zwischen Mutter und Sohn? Dass sich beide, die Gottesmutter und Jesus, um uns sorgen und kümmern? Die Hochzeit von Kanaa, aber auch das Wort Jesu vom Kreuz herab („siehe da, deine Mutter“) erzählen von dieser doppelten Liebe, in der wir geborgen sind.

St. Martinus, Bimmen

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Auch in der Bimmener Kirche wird Jesus von Maria getragen, allerdings viel verwegener: Maria hält ihn nur am rechten Unterschenkel fest – er sitzt nur halb auf ihrer Hand. Wie in Düffelward, so hält Jesus auch hier die Weltkugel mit seiner rechten Hand – allerdings nicht so geschützt und gestützt. Vielmehr kann man den Eindruck bekommen, dass die Kugel jeden Augenblick seinen Fingern entgleiten könnte, berührt er diese doch nur mit den Fingerspitzen. Auch die Weltkugel hat eine andere Form, ohne Kreuz, erinnert sie eher an einen Ball. Die ganze Darstellung macht einen ganz lockeren, fast verspielten Eindruck. Kann es das sein: Christus, der König, der mit der Welt, mit uns Menschen spielt? Der Mensch, ein Spielball Gottes? Ganz sicher nicht. Gott hat uns nie „ausgespielt, ausgetrickst“ – vielmehr hat er uns immer wieder seine Liebe und sein Leben „zugespielt“. Jesus ist kein „Spielverderber“, wer sich nicht an die „Spielregeln“ gehalten hat, das waren die Menschen. Gott lässt dem Menschen die Freiheit zu seinem Spiel. Er ist keine Marionette Gottes, mit der Gott herumspielt, sondern Gottes Mitspieler. – Im Spiel des Lebens und der Liebe. Gott ist nicht der große Schiedsrichter, der kleinlich jeden Regelverstoß ahndet und womöglich das Spiel des Lebens „abpfeift“. Nicht das Gegeneinander, das Miteinander ist von Gott gewollt. Das Geben und Nehmen. Das Leben mit Gott. So hat der Künstler gerade die Figur des Jesuskindes voller Schwund, voller Leben dargestellt.

St. Mariä Himmelfahrt, Keeken

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Die Marienfigur mit Jesuskind findet sich im Seitenaltar der Keekener Kirche, dem Rosenkranzaltar. Hier wird das ältere Jesuskind nicht von seiner Mutter getragen, vielmehr steht es auf einer größeren (Welt-) Kugel. Diese Kugel wird von einer Schlange mit rotem Apfel im Maul umwunden, Hinweis auf den Sündenfall. Die Gottesmutter stützt mit ihrer rechten Hand die rechte offene Hand ihres Sohnes, so, als wenn etwas schweres in der Hand liegen würde – aber diese ist leer … Vielleicht ist diese Weltkugel im Laufe der letzten hundert Jahre verloren gegangen; kein Wunder, bei zwei gottlosen Diktaturen im vergangenen Jahrhundert. Darf man es so deuten, dass sich der Mensch aus der Hand Gottes hat fallen lassen? Dass er sich von Gott emanzipiert hat? Denn nichts anderes bedeutet das Wort Emanzipation: Befreiung aus der Hand.
Das Dumme ist nur: wenn sich der Mensch aus der Hand Gottes befreit hat, ist er offensichtlich nicht mehr – bei Gott – sondern: bei der Schlange – als ihr Gefangener. Das Wort Religion kommt aus dem Lateinischen und heißt „zurückbinden“. Wer sich nicht an Gott bindet, wird offensichtlich Gebundener, Gefangener anderer Mächte. Oder er ist gar nicht mehr. Kardinal Ortega, Erzbischof von Kuba, hat bei einer Veranstaltung in Eichstätt zur Situation in seinem Land gesagt: „Mit dem Tod Gottes ist man auch zum Tod des Menschen gelangt. Zur inneren Leere.“
Doch tröstlich: Im Keekener Altar haben weder die Gottesmutter noch Jesus ihre Hände zurückgezogen; einladend strecken sie ihre Hände dem Betrachter entgegen, dass er sich wieder in seine Hand begibt, sich in seine Hand, in seiner Liebe fallen lässt.

St. Willibrord, Rindern

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Die Darstellung in der Rinderner Kirche unterscheidet sich von den anderen. Hier findet sich kein gekröntes Jesuskind, und Jesus trägt auch keine Weltkugel in seiner Hand. Stattdessen wendet sich Jesus ganz seiner Mutter zu, sieht sie voll Liebe an und berührt zärtlich mit seiner Hand das Kinn seiner Mutter. Dürfen wir es vielleicht so verstehen? Jesus erkennt in seiner Mutter den neuen Menschen, der „voll der Gnade“ ist – und ganz den Willen Gottes lebt. Maria, die bei der Verkündigung von Gabriel angesprochen wird mit „Sei gegrüßt, du Begnadete“, und die auf die Ankündigung antwortet: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ (vgl. Lk 1, 28.38).
In der Taufe empfängt der Mensch die Gnade, wird Kind Gottes, empfängt das Leben, göttliches Leben, bekommt Anteil am göttlichen Leben. Ein solcher „neuer Mensch“ wendet seine ganze Aufmerksamkeit und seinen liebenden Blick – wie bei Maria in der Rinderner Kirche – auf Jesus. Bei der Tauffeier wird der Christ nach der eigentlichen Taufspendung mit Chrisam gesalbt – ein kostbares Öl der Kirche, das auf die Königswürde des Christen hinweist. Ein solcher „neuer Mensch“ trägt ganz zu Recht – wie Maria in der Rinderner Kirche – die Krone der Gottesherrschaft.

(Andreas Poorten)

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